Geschichte

Gründung im Jahr 1836

Die Geschichte beginnt mit der Gründung einer Manufakturwarenhandlung durch Leopold Jungmann im Jahre 1836. Sein Sohn Wilhelm Jungmann, geboren 1838 in St. Georgen bei Preßburg, meldete 1866 einen Handel mit Schneiderzubehör an und gründete zusammen mit Wilhelm Steiner die Firma Jungmann & Steiner, die ihren Sitz am Rudolfsplatz 1 in Wien hatte. Ab 1869 firmierte Wilhelm Jungmann alleine, verlegte sich aber vom Handel mit Schneiderzubehör auf den Handel mit Manufakturwaren, im weitesten Sinn also Woll-, Seiden- und Luxusstoffe. 1873 gründeten Wilhelm Jungmann und sein Neffe Wilhelm Dukes die heutige Gesellschaft Wilhelm Jungmann & Neffe.

Albertinaplatz seit 1881

Das Geschäft lief so gut, dass 1881 an der repräsentativen Adresse Albertinaplatz 3 neue Geschäftsräumlichkeiten bezogen werden konnten. Im selben Jahr wurde der Firma der Titel eines kaiserlich und königlich österreichischen Hoflieferanten verliehen. Wilhelm Jungmann und Wilhelm Dukes beauftragten den Otto Wagner-Schüler Otto Hieser ihr neues Geschäftslokal im Stil des Historismus zu entwerfen. Das zentrale Deckengemälde, eine Allegorie auf den Seidenhandel, stammt von Franz Lefler. Die Holztische und Regale sind aus massiver Eiche im Stil der deutschen Renaissance. Heute ist Jungmann & Neffe eines der wenigen original erhaltenen Geschäftslokale der Gründerzeit.

Die goldenen Jahre

Die Lage des neuen Geschäftslokals war optimal gewählt, denn die Nähe zum Hof war wichtig, um rasch auf modische Entwicklungen reagieren zu können. Das Hotel Sacher stieg parallel zum inoffiziellen Treffpunkt der Aristokratie auf und die nahe Hofoper war einer der kulturellen Mittelpunkte der Stadt. Die folgenden dreißig Jahre sollten zu einer Blüte des Unternehmens führen. Wilhelm Jungmann & Neffe stattete die gesamte Aristokratie und das Großbürgertum der Monarchie von Wien bis Lemberg und von Prag bis Czernowitz mit exklusiver Eleganz aus. 

Bekannte Kunden

In den bis heute erhaltenen Musterbüchern finden sich neben den Stoffmustern der bestellten Kleider auch genaue Angaben zu Schnitt, Machart und Preis. Selbstverständlich sind auch die Namen der Kunden vermerkt, so zum Beispiel: Kaiserin Elisabeth, Marie Gräfin Larisch-Wallersee, Sophie Gräfin Chotek, Erzherzogin Maria Josepha von Österreich, Baronesse Mary Vetsera, Kronprinzessin Stephanie von Österreich, Königin Maria Pia von Portugal, Fürstin Pauline von Metternich und Kaiserin Auguste Viktoria von Preußen. Neben der Hocharistokratie zählten auch viele Damen der Hochfinanz und der Großindustrie zu den Kunden, darunter die Familien Ephrussi, Rothschild, Mautner-Markhof und Ringhoffer.

Die Zeit der Weltkriege

Durch den Ersten Weltkrieg und den Zerfall der Monarchie war ein Großteil der Kundschaft entweder verarmt oder in weite Ferne gerückt, den großen Markt, den es einst zufrieden zu stellen galt, gab es nicht mehr. Trotzdem galt Jungmann & Neffe immer noch als eine der ersten Adressen am Platz. Wilhelm Dukes stellte von Damen- auf Herrenstoffe um und gab Schneiderei, Kürschnerei und das Modistengewerbe auf.
 
Wilhelm Dukes starb 90jährig 1938, er war über 60 Jahre im Geschäft tätig gewesen. Er vermachte das Unternehmen seinen beiden Söhnen Paul Stephan und Leo Dukes. Leo Dukes emigrierte im April 1939 nach Bogotá, Paul Stephan blieb in Wien führte die Firma weiter. Ihm gelang es durch falsche Papiere der Verfolgung durch das NS-Regime vorerst zu entgehen. Auf der Suche nach einem neuen Kompagnon stieß er auf den Betrüger und Hochstapler Hans Sobotka, der als Gesellschafter der Firma beitrat. Das Ergebnis war katastrophal, in nicht einmal einem Jahr war die Firma überschuldet und insolvent. Paul Stephan Dukes verübte am 23. Oktober 1940 Selbstmord und hinterließ seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern ein Unternehmen ohne Perspektive.

Übernahme durch Familie Suchy

Hans Sobotka, dem die fachliche Qualifikation, ein Unternehmen der Textilbranche zu führen, völlig fehlte, verkaufte seinen Anteil am 13. Jänner 1942 an den Textilfachmann Walter Suchy, der noch im selben Jahr auch die Anteile der Familie Dukes übernahm. Er führte das krisengeschüttelte Unternehmen mit seiner Frau durch die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs. Obwohl die Staatsoper und der nahe Philipphof schwer getroffen worden waren, überstand das am Albertinaplatz den Krieg unbeschädigt. Walter Suchy leitete das Unternehmen bis zu seinem Tod 1957, ihm folgte seine Tochter Margit Suchy-Gozdecki. Ihre Tochter Magda Gaugusch-Neunteufel erweiterte das Sortiment um Accessoires wie Krawatten, Tücher und Schals. Nach ihrem Tod 2006 übernahmen ihre Kinder Georg Gaugusch und Andrea Christoph-Gaugusch die Firma.

Gegenwart und Zukunft

Seit 2005 führt Georg Gaugusch das Unternehmen und trägt so dazu bei, dass die Tradition des nunmehr ältesten Wiener Stoffgeschäftes als Familienbetrieb fortgeführt wird. 
 
Die ausführliche Unternehmensgeschichte findet sich im Katalog  "Kauft bei Juden!  Geschichte einer Wiener Geschäftskultur" zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien 2017 und ist hier erhältlich. 
 
Der Schwerpunkt von Wilhelm Jungmann & Neffe liegt heute auf einem breit sortierten Warenlager mit edlen Stoffen und exklusiven Accessoires.